Die junge Generation muss viel leisten, während die alte sich auf die faule Haut legen kann? Das soll durch einen sozialen Pflichtdienst für Senioren geändert werden. Soziologe Klaus Hurrelmann stellte diese polarisierende Forderung.
Deutschlands bekanntester Jugendforscher, der Soziologe Klaus Hurrelmann, findet, dass die junge Generation viel Leistung erbringe, während viele noch gesunde Senioren nichts mehr beitragen würden. Hurrelmann: „Mit 65 – oder oft genug schon mit 63 – sind die Leute plötzlich nur noch Privat- und Urlaubsmenschen. Was ist denn das für ein Konzept?“
Sollen Senioren nach Eintritt in den Ruhestand zu einem sozialen Pflichtdienst herangezogen werden? Hurrelmann hat einen solchen Vorschlag jetzt öffentlich gemacht. Seine Forderung: Nach Jahrzehnten im Beruf sollen Senioren nicht sofort in den ungestörten Ruhestand wechseln, sondern noch ein Jahr lang einen gesellschaftlich sinnvollen Pflichtdienst ableisten. Das Thema polarisiert: Es geht um Gerechtigkeit zwischen den Generationen, soziale Verantwortung und die Zukunft des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Die Idee eines sozialen Pflichtdienstes für Senioren kommt nicht von ungefähr. Laut Hurrelmann herrscht eine wachsende Ungleichheit zwischen den Generationen. Junge Menschen unterstützen aktuell das Rentensystem, kämpfen mit steigenden Sozialabgaben und müssen immense Staatsschulden schultern. Gleichzeitig gibt es immer mehr fitte und gesunde Senioren, für die nach dem Eintritt in den Ruhestand häufig das Privatleben und die Freizeit im Mittelpunkt stehen.
Für Hurrelmann sind die Debatten rund um eine neue Wehrpflicht oder ein soziales Pflichtjahr für die junge Generation zu einseitig. Er spricht von einer „Schieflage“: Man müsse „die ganze Gesellschaft in die Pflicht“ nehmen. „Von den Jungen zu erwarten, dass sie im Ernstfall allein das Land verteidigen, ist nicht gerecht.“: In einer wahren Solidargemeinschaft sollten gesellschaftliche Aufgaben von allen Generationen getragen werden. Ein Pflichtdienst für Senioren, so Hurrelmann, könne helfen, die junge Generation zu entlasten, soziale Strukturen zu stärken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Besonders in Bereichen wie der Pflege, Betreuung, Bildung oder Integration sei ehrenamtliche und freiwillige Arbeit gefragt – Aufgaben, die viele ältere Menschen aus ihrer Lebenserfahrung heraus hervorragend meistern könnten.
Gleichzeitig soll damit nicht jeder Rentner zum Dienst verpflichtet werden: Denkbar wäre eine flexible Regelung, die gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung trägt. Aber: Wer dazu in der Lage ist, könnte etwa ein Jahr lang in einem sozialen Dienst gesellschaftliches Engagement zeigen.
Der Vorschlag trifft aber auch auf heftigen Widerstand. Viele fragen sich: Ist es wirklich vertretbar, Menschen am Ende ihres Arbeitslebens – oft nach 45 oder mehr Jahren Beitrag zur Gesellschaft – nochmals in die Pflicht zu nehmen? Kritiker sehen darin eine Entwertung der Lebensleistung und fürchten eine Zwangsverpflichtung, die der individuellen Freiheit widerspricht. Schon jetzt engagieren sich zahlreiche Senioren freiwillig: Sei es im Senioren Freiwilligendienst, im Sportverein, bei der Nachbarschaftshilfe oder in kulturellen Projekten.
Außerdem stellt sich die Frage, wie ein solcher Pflichtdienst für Senioren konkret organisiert werden könnte. Was passiert mit Menschen, die persönliche, gesundheitliche oder familiäre Gründe haben, nicht mehr arbeiten zu können? Und wie lässt sich wirklich sicherstellen, dass der Dienst der Gesellschaft zugutekommt und nicht zur bloßen Pflichtübung verkommt?
Einsatzfeld | Mögliche Aufgaben | Beispiel für Engagement |
---|---|---|
Pflege & Betreuung | Besuchs- und Gesprächsdienste, Unterstützung in Senioreneinrichtungen | Senioren helfen Senioren im Alltag |
Bildung | Mentoring, Lesepatenschaften, Deutschunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund | Ehrenamt an Schulen |
Integration & Soziales | Flüchtlingshilfe, Patenschaften, Nachbarschaftshilfe | Kochabende mit Geflüchteten |
Kultur & Freizeit | Vereinsarbeit, Museumsführungen, Musikprojekte | Organisation von Lesungen |
Damit der Übergang in einen solchen Dienst für Senioren reibungslos funktioniert, braucht es unterstützende Infrastruktur und Beratung. Schließlich ist nicht jeder Senior geeignet, noch ein Jahr nach seinem Renteneintritt zu arbeiten. Folgendes muss beachtet werden: Interesse und Fähigkeiten Gesundheitliche Belastbarkeit Sind Einführungs-/Vorbereitungskurse nötig? Wie viele Stunden kann jemand bequem arbeiten? Regelmäßige Reflexion und Rückmeldungsmöglichkeiten
Was für die Einführung eines Dienstjahres für Senioren spricht, sind die Erfahrungen derjenigen, die sich derzeit in Freiwilligendiensten engagieren. Viele Senioren und Seniorinnen berichten sehr positiv über ihr freiwilliges Engagement. Sie beschreiben einen neuen Lebenssinn, soziale Kontakte und das Gefühl, weiterhin gebraucht zu werden. So erzählt Renate (68) aus Dresden: „Nach dem Renteneintritt war ich zunächst unsicher, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Durch meinen Einsatz in einer Grundschule als Lesepatin habe ich neuen Lebensmut gefunden – die Kinder machen einfach Freude!“
Auch Herbert (72) aus Hamburg hat nach dem Beruf nicht die Füße hochgelegt: „Ich engagiere mich in der Flüchtlingshilfe und lerne dabei selbst viel über andere Kulturen. Es erfüllt mich, wenn ich das Gefühl habe, etwas zurückzugeben und mich einzubringen.“ Solche Möglichkeiten gibt es in jeder Stadt – viele Kommunen unterstützen aktiv bei der Vermittlung und richten spezielle Programme für Senioren-Volunteering ein.
Gleichzeitig erklären Senioren, dass sie gerne helfen – und zwar ohne Zwang – die Betonung ist, dass die Erfüllung der sozialen Verantwortung freiwillig bleibt. Ein Pflichtdienst, wie aktuell diskutiert, spaltet jedoch die älteren Menschen selbst. Während die einen den generationenübergreifenden Ansatz unterstützen, wünschen sich andere Respekt und Wertschätzung ihrer Lebensleistung, ohne neue Pflichten.
Die Debatte um einen sozialen Pflichtdienst ist komplex. Mögliche Alternativen zum Pflichtjahr könnten darin bestehen, Senioren-Engagement zu stärken, aber ohne festen Zwang. Beispielsweise fördern formalisierte Senioren Freiwilligendienste flexible Projekte, die auf Freiwilligkeit und individuelle Interessen setzen. Die Politik könnte solchen Angeboten mehr öffentliche Aufmerksamkeit schenken und bürokratische Hürden abbauen.
Ob in Zukunft ein soziales Pflichtjahr für Senioren kommen könnte, bleibt abzuwarten. Zweifellos gibt es noch viel Diskussionsbedarf, bevor konkrete Schritte unternommen werden können. Es liegt nun an Politik, Zivilgesellschaft und natürlich auch den Senioren selbst, tragfähige Lösungen zwischen freiwilligem Engagement und einem eventuellen Pflichtdienst im Alter zu finden. Eine ausgewogene Generationengerechtigkeit sollte in jedem Fall das Ziel sein.