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Enteignung: Bürgermeister stellt Eigentümern ein Ultimatum

Die Stadt Tübingen will mehr Wohnraum schaffen, darum verschickt Oberbürgermeister Palmer Enteignungsbriefe an Eigentümer von Grundstücken innerhalb seines Regierungsbezirks.

Tübingen: Oberbürgermeister Boris Palmer ist seit Jahren sehr bemüht, mehr Wohnraum in der Studentenstadt am Necker zu schaffen. Auch für innovative Politik ist der grüne OB aus Baden-Württemberg bekannt. Nun verfasste er Briefe an Grundstückseigentümer, die ihre Flächen brachliegen lassen: Sie sollen bauen oder verkaufen.

In seinem Brief fordert Palmer Grundstückseigentümer auf, innerhalb der kommenden vier Jahre „die Schaffung von Wohnraum“ zu ermöglichen und deshalb eine „verbindliche Erklärung“ abzugeben, dass „in spätestens zwei Jahren ein Baugesuch“ eingereicht werde. Als Alternative bietet der OB der Eigentümern an, ihr Grundstück zum Verkehrswert an die Stadt zu verkaufen. Eigentümer die den Brief ignorieren, müssen damit rechnen, dass die Stadt ein formelles Anhörungsverfahren eröffnen wird. In Paragraph 176 des Baugesetzbuches sei ein Baugebot formuliert, erklärte Palmer sein Schreiben. Komme der Eigentümer dem Baugebot nicht nach, sei die Eröffnung eines Enteignungsverfahrens möglich.

Laut Palmer gebe es in Tübingen mehr als 500 baureife Grundstücke, auf denen rund 1000 Wohnungen entstehen könnten, groß genug für Familien oder Studenten-WGs. Er schätzt, dass es sich dabei um einen Gesamt-Immobilienwert von etwa 100 Millionen Euro handele.

Politische Diskussion um die Enteignung
In immer mehr deutsche Großstädten ist der Wohnraum hart umkämpft. Die Mieten steigen dementsprechend immer weiter in die Höhe. Eine Berliner Bürgerinitiative startete schließlich ein Volksbegehren, um “besonders profitorientierte Unternehmen” zu enteignen. Mit ihrer Forderung gehen sie deutlich weiter, als der Tübinger Bürgermeister, da sie die Verstaatlichung von bereits bestehenden Mietwohnungen anstrebt.

Befürworter der Eder Berliner Initiative berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes, wonach „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ gegen eine entsprechende Entschädigung „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“ können. Kritiker der Enteignung bewerten den Artikel als nicht mehr mit der geltenden Verfassung vereinbar. „Dieser Sozialisierungsartikel ist noch nie zur Anwendung gekommen. Und mit der Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft sollte er sich erledigt haben,“ erklärte beispielsweise der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier.

Gemäß einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap, lehnen 70 Prozent der Bevölkerung die zwangsweise Verstaatlichung von Mietwohnungen ab. Nur 23 Prozent der Befragten bezeichnen eine solche Maßnahme zur Schaffung von Wohnraum als „gut“ oder „sehr gut“.

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Sara Breitner